Brauchtum, Aberglaube, Wissenswertes aus der Vergangenheit und sagenhafte Geschichten
Der Allerseelentag geht auf Abt Odilo von Cluny zurück. 998 führte er diesen Gedenktag für die Verstorbenen in allen ihm unterstellten Klöstern ein. Schnell verbreitete sich die Idee, auch wenn die offizielle Festsetzung des Gedenktages erst im Jahr 1915 durch Papst Benedikt XV. erfolgte.
Fegefeuer (lateinisch Ignis purgatorius oder Purgatorium, „Reinigungsort“, „Läuterungsort“), bezeichnet die Läuterung, die eine Seele nach dem Tod erfährt, sofern sie nicht als heilig unmittelbar in den Himmel aufgenommen wird. Dieser Zwischenzustand wird gleichnisweise als Ort der Läuterung, gewissermaßen als Intermediärzone, oder als zeitlicher Prozess vorgestellt. Im Fegefeuer besteht die Qual darin, dass der Verstorbene zwar schon die vollkommene Gegenwart und Liebe Gottes spürt, sich aber aufgrund seiner Sünden dieser Liebe nicht würdig fühlt. Genau das macht den grossen Schmerz aus.
Das Fegefeuer erfährt, wer in der Gnade Gottes stirbt, aber noch nicht vollkommen geläutert ist, um die Heiligkeit zu erlangen, die notwendig ist, in die Freude des Himmels eingehen zu können. Das Purgatorium ist somit völlig verschieden von der Bestrafung der Verdammten in der Hölle. Die sogenannten armen Seelen sind im Fegefeuer also nicht endgültig festgehalten, sondern sie haben immer die Gewissheit, daraus entlassen zu werden, und zwar stets in Richtung Himmel. Gebete, Fürbitten und gute Gaben (Ablass) der Lebenden sollen helfen, diese Zeit zu verkürzen.
Diejenigen, die nicht im Stand der Gnade sterben, gehen für immer dem Himmel verloren; sie kommen in die Hölle.
Es ist möglich, dass die Armen Seelen an Allerheiligen oder an Weihnachten erlöst werden und in den Himmel aufsteigen. Zuerst gelangen sie in den Vorhimmel. Dort dürfen sie keinesfalls von den Früchten essen, sonst fallen sie wieder zurück ins Fegefeuer.
Damit die erlösten Armen Seelen nun nicht in Versuchung kommen von den Früchten im Vorhimmel zu essen, legt man auf die Grabhügel in der Nacht auf den 2. November Allerseelenbrote und ein Flasche Wein.
Viele der Armen Seelen kommen an Allerseelen aus dem Fegefeuer auf die Erde und ruhen sich aus von den Qualen, die sie dort erleiden müssen.
Auch für diese Armen Seelen legt man Brote, Zöpfe, Totenbeinli und Wein auf die Grabhügel, damit sie genug Nahrung haben, wenn sie nach Allerseelen weiter ihre reinigende Busse tun müssen im Fegefeuer.
Wenn jemand zu viele Tränen vergiesst um einen Toten, kann es sein, dass aus jeder einzelnen Träne ein Öltropfen wird. Diese Öltropfen fallen ins Fegefeuer, entfachen es immer wieder neu und machen es heisser. Dann leiden die Armen Seelen noch mehr.
Die Allerseelenbrote sind in fast allen Regionen süss.
Das Allerseelenbrauchtum gelangte wahrscheinlich von Irland aus in die USA. Und von dort kam es als Halloween-Brauch wieder zu uns nach Europa.
Das Allerseelenbrauchtum hat einen keltischen Ursprung. Das Brauchtum war eines der vier wichtigsten keltischen Feste. Seine Anfänge hatte der Brauch vor mehr als 2.000 Jahren. Im Irischen "Samhain" genannt, markierte er den Beginn des Winters am 1. November.
Damals glaubte man, dass am Vorabend des Festes Geister auf der Erde wandelten, weil die Grenze zum Totenreich in dieser Nacht verschwamm. Bevor man ins Bett ging, zündete man in der Küche ein Feuer an und stellte Essen für die Vorfahren bereit, falls diese zurückkommen sollten. Bis heute wird Halloween deswegen am 31. Oktober gefeiert. Der Name entwickelte sich aus der Bezeichnung für den Abend vor Allerheiligen: All Hallows' Eve.
Dazu passt die spannende Geschichte "Die Geisterküche" aus "Schweizer Volksmärchen", Diederichs Verlag
Der Begriff Geister kommt aus dem lateinischen spiritus. Spirare heisst atmen.
Daher kommt sicherlich die Redewendung „mit dem letzten Atemzug den Geist aushauchen“.
Solche Geister sind sogenannte Wiedergänger. Das sind Arme Seelen, die immer wieder auf die Erde zu den Menschen kommen. Sie mahnen die Menschen entweder zur Bussfertigkeit und einem guten Leben oder sie quälen sie oder sie bitten um ihre Erlösung.
Es gibt Wiedergänger aus dem Fegefeuer, die als brennende Männer umher gehen müssen. Sie sind vom Fegefeuer durchglüht, hinterlassen Brandspuren auf Türen oder Rudern und verbreiten Angst und Schrecken. Von einem solchen Brönnlig erzählt eine Sage bei uns auf dem Sagenweg. Die Skulptur dazu hat Rafael Häfliger gemacht. Dass die Arme Seele von diesem Brönnlig am Ende erlöst wird, ist der Unerschrockenheit eines Knechtes zu verdanken.
Mir scheint diese Erlösung ziemlich ungerecht. Denn dieser Brönnlig war ein grausamer Menschenschächter und Mörder. Andere Arme Seelen müssen nur, weil ihnen als Mensch ein paar Brotbrösmeli unter den Tisch gefallen sind, jahrelang im Fegefeuer Busse tun und ohne Unterbruch den Boden fegen. Oder wie die Arme Seele des Spielhansels auf immer und ewig in allen notorischen Spielern weiterleben:
Der Spielhansel KHM Nr. 82 der Brüder Grimm
Die Freiämter Sage von den Keglern im Uezwiler Wald erzählt auch von sogenannten Wiedergängern. Die armen Seelen der Kegelspieler kommen immer wieder auf die Erde, lärmen, spielen und tanzen wie wild, gehen aufeinander los und bekämpfen sich lautstark. Wenn man genau dann zufällig an diesem Ort vorbei gehen will, dann wird man festgebannt, bis der Spuk vorbei ist. Und man kann sicher sein, dass man den Kopf voller Beulen hat danach.
Manchmal schliessen sich die Armen Seelen zusammen und ziehen als wildes Heer durch die Lüfte. Salopp gesagt, kommt dann eine grosse Menger letzter Atemzüge zusammen. Darum tost dann der Sturm. Diese Stürme können gewaltig sein und Tod und Verderben bringen. Häufig gab und gibt es diese Stürme gerade an Allerheiligen oder Allerseelen. Darum heissen sie auch „Allerseelenwinde“.
Es soll früher vorgekommen sein, dass sich einzelne dieser stürmischen Geister als Riesen oder Gespenster gezeigt haben. Begegnete man einem solchen Gespenst, dann konnte es sein, dass man grässliche Beulen am Kopf bekam.
Man berichtet genau das von der armen Seele des Stifeliryters. Noch heute heisst es in Muri, wenn diese Spätherbststürme kommen „Lüüt! Nämid d Wösch vo dr Leine, dr Stifeliryter chunnt!“ Wer nicht hört, hat nach dem Sturm bestimmt mehr als nur eine Beule am Kopf.
Wiedergänger begegnen uns aber auch als hilfreiche Zwerge. So wie derjenige, der den Knechten vom Kloster Muri bei der Arbeit geholfen hatte.
Leider waren die Knechte neugierig, wollten wissen, wer die Arbeit für sie machte. Das wäre ja noch gegangen. Aber weil sie dem Zwerg, der wahrscheinlich der Wiedergänger war von einer armen Seele, der als Knecht nicht richtig gearbeitet hatte, schöne Kleider schenkten, wurde diese Arme Seele erlöst und kam darum nicht wieder.
Zwerge leben in der Unterwelt. Sie kennen die Tore hin und her.
Von helfenden Armen Seelen oder hilfreichen Toten gibt es sehr viele Geschichten. Eine gefällt mir sehr. Es ist die märchenhafte Sage „Vom Pflasterbub zum Prinzen“ aus der Diederichs Sammlung „Schweizer Volksmärchen“.
Hilfreiche Tote sind uns auch aus anderen Geschichten bekannt. Bekannt ist sicher die verstorbene Mutter von Aschenputtel. Aschenputtel hat auf den Grabhügel ein Haselreisig gepflanzt. Daraus ist ein Baum geworden. Dieser Baum schenkt Aschenputtel die kostbaren Kleider und die schönen Schuhe. Der Haselbaum ist ein sogenannter Ahnenbaum. Darin lebt die verstorbene Mutter weiter.
Letztlich hat auch eine Taube auf einem Haselbusch dem Anneli vom Guggibad das Leben gerettet. Vielleicht ist auch dieser Baum ein Ahnenbaum gewesen. Vielleicht war aber auch die warnende Taube eine wieder gekommene Arme Seele von einer der elf erhängten Jungfrauen. Wie wissen es nicht …
Wiedergänger begegnen uns oft in Tiergestalt. Häufig kommt es vor, dass sie als Kröten grosse Schätze hüten müssen. Die Sage vom Teufelsschatz auf der Isenburg erzählt davon.
Besondere Orte sind Tanzplätze
gewesen. Der Tanzplatz von Zufikon sagt man, sei genau dort gewesen wo man
heute noch einen grossen Hügel sehen kann. In der Weggabelung, wenn man beim Kloster Hermetschwil über die Holzbrücke "Dominilochstäg" und dann weiter nach Bremgarten geht. Dort wo der eine Weg ins Emaus führt und der
andere weiter nach Bremgarten. Es gibt beim Hügel eine Hinweistafel auf eine prähistorische Wehranlage.
Sind auch die Rüüssjumpfere, die hier getanzt haben sollen, Wiedergängerinnen gewesen? Oder hat der personifizierte Tod höchst persönlich hier mit jungen Frauen getanzt und sie nachher ins Grab geholt? So wie uns die unzähligen Geschichten und Darstellung vom Tod und dem Mädchen berichten?
Könnte dieser Hügel auch ein Grabhügel gewesen sein? Auf einem grossen Friedhof?
Eine Geschichte dazu hätte ich noch. Sie erzählt, wie wir
leben sollten, wenn wir nicht lange im Fegefeuer schmoren oder gar in der Hölle
enden wollen: Der Grabhügel KHM Nr. 195 der Brüder Grimm
Das Bild zeigt das Fegefeuer in der Pfarrkirche in Sarmenstorf. Schmoren müssen wohl die drei Übeltäter, die den drei Pilgerreisenden auflauerten und sie köpften.
Als Quellen für diesen Beitrag dienten mir meine eigenen Unterlagen, das Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens, das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, die Enzyklopädie des Märchens, das Standardwerk von Lutz Röhrich über die Sagen, die Forschungsbeiträge der europäischen Märchengesellschaft zu Tod und Wandel im Märchen, verschiedene Wikipedia-Beiträge (Fegefeuer, Allerseelen) und diverse Internetseiten, die sich mit den Kelten befassen.